Radbegleiter-Bericht Berliner Mauerweglauf 100 Meilen 15./16.08.2015

Nachdem wir 2014 beim Berliner Mauerweglauf – ein 100-Meilen-Lauf – als Teilnehmer einer Staffel teilgenommen hatten, musste Bernd es am 15./16.08.2015 als Einzelläufer probieren. 


Start/ Ziel ist der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg, dicht an der ehemaligen Berliner Mauer gelegen. Die Strecke führt jährlich wechselnd mal im Uhrzeigersinn und mal entgegen auf dem ehemaligen Mauerstreifen entlang, das heißt einmal um Westberlin herum. In diesem Jahr entgegen des Uhrzeigersinns. Die Strecke muss in 30 Stunden absolviert werden, also ist am Sonntag um 12 Uhr  Zielschluss. Es gibt unterwegs 27 Verpflegungspunkte, diese sind etwa alle 5 – 7 km aufgebaut. Drei der Verpflegungspunkte waren auch Wechselpunkte für die 4er-Staffeln und dort lagen Wechselbeutel für die Einzelläufer. Die Beutel konnte man kurz vor dem Start abgeben und diese wurden dann zu den Wechselpunkten gefahren. 

An dem Lauf konnte man als Einzelläufer, 2er-Staffel, 4er-Staffel und 10+ Staffel teilnehmen. Einzel- und Staffelläufer zusammen waren etwa 1000 Läufer. 

Von 399 Einzelläufern, die am Samstag um 06:00h starteten, kamen 77 nicht bis ins Ziel. Das war zum Teil sicherlich dem Wetter geschuldet, denn bis etwa 14 Uhr herrschten Sonnenschein und Hitze von 32 Grad. 

An der Veranstaltung haben 400 Helfer mitgewirkt, die zum Teil auch die ganze Nacht durchmachen mussten. Und sie waren alle freundlich und fröhlich und immer bemüht, alle Läuferwünsche zu erfüllen. Die Helfer vieler Verpflegungspunkte haben sich auch ganz kreativ etwas zur Motivation einfallen lassen, es wurde der Weg mit Motivationssprüchen bemalt, Plakate aufgehängt, Traubenzucker mit selbst gebastelten „Viel Glück“-Kärtchen verteilt. 

Dass es sich bei dem 100-Meilen-Lauf nicht um eine Veranstaltung für Warmduscher handeln würde, wurde spätestens beim Briefing klar. Der Rennleiter schloss mit den Worten: Denkt immer daran: Ihr habt es so gewollt. Lacht, wenn ihr ins Ziel kommt, oder heult, oder beides zugleich – aber seid glücklich! Der Rennarzt wurde noch deutlicher, als er informierte, wann er einen Läufer aus dem Rennen nehmen wird. Mit angebrochenen Rippen oder angerissener Achillessehne könne man noch weiterlaufen. Halt nur nicht mehr so abrollen. Die Läufer lachten alle, aber spätestens jetzt wurde es Zeit, sich auf Leiden einzustellen. 

Wir standen um 4:00 Uhr auf und ich fuhr Bernd zum Start. Noch war es bewölkt und gar nicht richtig hell.  Es war angenehm warm, Tiefsttemperatur 25 Grad. Die wärmste Nacht dieses Jahres! Frieren musste niemand am Start. Pünktlich setzte sich die Läuferschlange in Bewegung und wurde von einigen Angehörigen und Freunden auf den Weg geschickt. 

Ich fuhr erst mal nach Hause, ging mit Maika spazieren, machte mir Frühstück und schaute dabei, ob es erste Zwischenzeiten gibt. An jedem Verpflegungsstand gab es ein Messgerät und die Ergebnisse sollten eigentlich „live“ ins Internet gestellt werden. Im letzten Jahr hatte das auch ganz gut geklappt. Dieses Jahr nicht so. Ich hatte schon leichte Panik, da Bernd längst durch den ersten und dann durch den zweiten Messpunkt gelaufen sein musste, da kamen die Ergebnisse. Wie sich herausstellte, blieb das so und zwar bei allen Läufern. Ein neues Ergebnis kam meist erst einige Minuten, nachdem zwei weitere Messpunkte durchlaufen waren. Ich war erst mal wieder beruhigt. Die Verzögerung störte aber sehr, schließlich wollte ich Bernd 2x auf der Strecke aufpicken und für meine Planung und die der Verwandten, die an der Strecke sein wollten, gab es nur sehr ungenaue Vorhersagen. 

 

Bernd war inzwischen bei km 6 auf seine Nichte Karin gestoßen, die fleißig Läufer fotografierte. Weiter bei km 20 saß seine Schwester Heidi am Waldweg auf einem Hocker und feuerte die Läufer an. Nach freudiger Begrüßung und Glückwünschen ging es jeweils weiter. Es war nun sehr heiß und als Bernd eine verschwiegene Bademöglichkeit sah, fand er, es sei Zeit für ein Bad. Ausziehen, Baden, Anziehen, weiter.

Gegen 11 Uhr  fuhr ich los zur Stadtgrenze in Spandau am km 55, um Bernd ein Stück auf dem Fahrrad zu begleiten. Ich war als Radbegleiter angemeldet, durfte mich an allen Verpflegungspunkten versorgen und samt Rad kostenlos BVG fahren. Das war toll. Für die 399 Einzelläufer waren 100 Radbegleiter gemeldet, mehr wurden nicht zugelassen.   

Ich kam viel zu zeitig am Treffpunkt an und beschloss, Bernd ein paar km entgegen zu fahren. Es war Mittag und schrecklich heiß. Es war zu sehen, wie die Läufer litten. Bei km 52, kurz vor dem VP 9 traf ich Bernd dann und nun ging es erst mal gemeinsam weiter. Er kam zwar später als vermutet dort an, erzählte aber, dass er an den VPs immer schön Pause gemacht, getrunken und gegessen hatte und sich die Kraft lieber einteile. Er wirkte auch sehr frisch und munter und war gut gelaunt. Die gemeinsame Strecke bis zum VP 10 bei km 59 hat viel Spaß gemacht. Die Strecke verlief auf einem schönen asphaltierten Weg im Grünen und viel unter Bäumen entlang. 

Zu dumm war, dass ich meinen Fotoapparat vergessen hatte und mit dem ollen Smartphone knipsen musste. Und das bei all den Packlisten, die ich vorher geschrieben hatte! 

Am km 59 trennten wir uns wieder. Die Sonne verschwand erst mal und es kam Wind auf. Es sah nach Regen aus, aber der fiel dann irgendwo anders. Ich fuhr mit dem Rad zurück zum Auto und nach Hause. 

 

Dort führte ich Maika wieder aus, verfolgte die Zwischenzeiten im Internet und schrieb eine Liste, aus der wir später auf den letzten 30 km hätten entnehmen können, mit welcher Pace Bernd ab den jeweiligen VPs mindestens laufen muss, um sein Zeitziel von 24h zu schaffen. Aus den Zwischenzeiten war aber schon zu sehen, dass es kaum noch möglich sein konnte. Und nachts wird man normalerweise auch langsamer, es ist dunkel und der Körper fällt in eine Art Halbschlaf. Um 17:55h rief Bernd an und meinte, er wäre gerade über die Glienicker Brücke ( km85) gekommen, aber nun musste er sich etwas hinlegen, da er die letzten km schneller gelaufen war und ihm nun komisch ist. Später stellte sich heraus, dass es noch nicht die Glienicker Brücke gewesen war, diese kam erst eine gute halbe Laufstunde später. 


Ich machte mich gegen 20h wieder auf den Weg, nachdem ich unseren Nachbarn gebeten hatte, später abends noch mal mit Maika zu gehen. Das Auto fuhr ich zum Stadion, damit wir es später nach dem Zieleinlauf dort hätten. Von Stadion fuhr ich mit Rad und BVG zum S-Bahnhof Lichtenrade und von dort etwa 1km zum VP 19 bei km 115. Anhand der Zwischenzeiten konnte ich aber sehen, dass ich viel  zu zeitig dort war. Bernd würde frühestens in 2 Stunden da sein. Ich fuhr ihm also wieder bis zum VP 18 Osdorfer Str.  bei km 110 entgegen. Es war inzwischen dunkel geworden und bei Neumond war es auf dem Mauerweg tatsächlich stockfinster und so allein auch etwas unheimlich. Zum Glück kamen mir ab und zu auch Läufer entgegen. 

Angekommen am VP 18 rief ich Bernd an um zu erfahren, wo er ist. Er war noch nicht am VP 17 Teltow bei km 103 angekommen und wirkte etwas mutlos. Er hatte sich nach Einbruch der Dunkelheit verlaufen und das kostete wieder mindestens 30 Minuten. Das Zeitziel von 24h war spätestens durch die weitere Verzögerung beim Verlaufen unmöglich geworden. Ich redete ihm gut zu – schließlich ist es eine Wahnsinnsleistung, wenn jemand diesen Lauf überhaupt finisht - und richtete ich mich auf eine längere Wartezeit ein. Es war dort ziemlich schummrig. Nach einer Weile merkte ich, dass eine Frau dort ein bisschen wie unsere Lauffreundin Petra aussieht. Und tatsächlich, Petra, Tom und Sven standen an der Strecke und warteten auf Bernd. Unfassbar! Wir haben noch etwa 90 min dort auf Bernd gewartet, aber dass ich nicht allein war, hat das Warten doch abgekürzt. Ich wurde nun aber auch sehr müde. Schließlich hatte ich die Nacht vorher kaum geschlafen und um 4h waren wir aufgestanden – das war nun auch schon 19 Stunden her. Mir fielen fast die Augen zu und ich legte mich eine Weile auf eine Holzpalette. 

Dann – 23:45h – war es endlich so weit. Bernd traf ein! Er begrüßte erst mal alle, berichtete, wie es ihm ergangen war und aß und trank etwas. Die Batterien der Stirnlampe waren schon sehr schwach, ich legte Neue ein. Bernd zog sich ein langes Shirt an, es war kühler geworden, und los ging es. Die Strecke führte km um km auf dem asphaltierten Mauerweg im Berliner Süden entlang. Der Weg war breit und wir konnten schön nebeneinander fahren/laufen. Ab und zu überholten wir oder wurden überholt und wechselten ein paar Worte oder grüßten nur. Es machte Spaß, aber die Strecke bis zum nächsten VP 19 kam mir ewig lang vor. Und dann sollte noch 8 weitere VPs folgen, oh je oh je. Ich ließ mir das nicht anmerken, es wäre ja demotivierend gewesen! Am VP 19 beim km 115 war nun schon Sonntag und ich grüßte schön laut mit „Guten Morgen“. Die Helfer versprühten gute Laune und Hilfsbereitschaft. Ich bekam sogar Kaffee – mein erster Kaffee nachts um 00:45h überhaupt! Nun hatte ich mich auch schon „eingegroovt“ und ich freute mich auf den weiteren Weg. Bernd hielt sich auch nicht lange am VP auf, nach wenigen Minuten waren wir wieder unterwegs. Er lief langsam, etwa 9 min/km, aber stetig. Man muss sich mal vorstellen, er war schon 19 Stunden unterwegs! Mal unterhielten wir uns, mal schwiegen wir. Es war schön. Ich war froh, dass ich nun unmittelbar sehen konnte, dass es ihm gut geht. Als der Weg durch freieres Gelände führte, war es kühler und es kam Nebel auf. Der Lichtkegel der Stirnlampe war weiß und zum Teil konnten wir den Weg gar nicht mehr sehen. Wenn wir in Wald kamen, wurde der Nebel weniger und es war wärmer. 

Wir überholten immer wieder Läufer, die am VP an uns vorbeigelaufen oder gegangen waren. So ging das viele km lang, Bernd überholte auf der Strecke und am VP liefen/ gingen sie wieder an uns vorbei. 

Am nächsten VP 20 um 02:00 Uhr bei km 120 war der Tisch besonders reich und lecker gedeckt. Dort hing ein großes Plakat, dass nun nicht mal mehr ein Marathon zu laufen wäre. Bernd erzählte später, dass das auf ihn niederschmetternd wirkte. 

Die Strecke wurde jetzt schmal, es war für ein paar km nur noch ein Trampelpfad zwischen Wiesen und Büschen. Dazu Finsternis und Nebel. Bernd musste sehr aufpassen, dass er nicht umknickt oder stolpert. Am nächsten VP 21 Buckow km 126 war die schlechte Wegstrecke überstanden. Hier war wieder Stimmung und Musik und der Leiter des VP hatte sich wohl auf die Gesundheit der Läufer den einen oder anderen genehmigt. Nun ging es weiter durch den Ort und dann hinein ins Stadtgebiet und endlich um 04:20 Uhr kamen wir am VP 22 Rudow km 131 bei unseren Lauffreunden Steffen, Astrid und Christian an, die den VP betreuten. Es wurde geherzt und gedrückt und Glück gewünscht. Ich verabreichte einer Läuferin Eisspray und redete ihr gut zu, nicht aufzuhören, so weit wie sie schon gekommen war. 

Die Strecke führte nun durch Stadtgebiet, es gab Lampen und ordentliche Gehwege. Wir kamen dann zum Teltowkanal, an dem die Strecke Kilometerweit schnurgerade entlangführt. Eintönig, aber gut asphaltiert. Es war immer noch so, dass eine weit auseinandergezogene Gruppe unterwegs war, die Bernd auf der Strecke immer überholte und von der er dann an den VPs wieder eingeholt wurde. Das Beste am Teltowkanal aber war, dass es nun langsam hell wurde. Ahh...  Ich wurde wieder munterer. Am VP 23 km 137, noch immer am Teltowkanal, wurden wir ganz lieb von unserem Lauffreund Benni begrüßt. Die Truppe des VP hatte schon ab 1 km vor dem VP Motivationssprüche auf dem Boden und auf Plakaten angebracht. Das half! Nun waren wir auf dem Weg zur Sonnenallee, wo ich aufgewachsen war. Bernd lief immer noch langsam aber stetig. 

Kurz vor dem VP 24 Dammweg km 142 merkte ich, dass ich hinten einen Platten hatte. Aber keine Luftpumpe. Wozu auch bei einem unplattbaren Reifen? Bernd wollte den Schlauch wechseln. Aber für den neuen Schlauch hatten wir ja auch keine Pumpe. Ich wollte auf der Felge weiter fahren, so langsame wie wir waren, würde das schon gehen. Aber nach kurzer Zeit hatte sich der Schlauch um die Bremse genuddelt und das Hinterrad war total blockiert. Mist. Sonntag Morgen um 6 Uhr. Keine Hilfe vom Fahrradladen zu erwarten. Mit viel roher Gewalt rissen wir den Schlauch von der Bremse und verabschiedeten uns. Bernd lief weiter. Ich war raus und schob traurig und deprimiert zur nahen S-Bahnstation Köllnische Heide. Ich wäre gerne bis zum Ziel mitgefahren. 

Nun fuhr ich mit der Bahn zurück zum Stadion, verfrachtete das Rad ins Auto und fuhr nach Hause. Nichts ist so schlecht, dass es nicht auch sein Gutes hätte – ich erlöste Maika vom Alleinesein, führte sie aus und nahm sie mit zurück zum Stadion. Dort angekommen, rief ich erst mal Bernd an, der inzwischen (nur!) bis zum VP 25 km 149 East Side Gallery gekommen war. Dass ich nun aber schon am Ziel war, gab ihm wohl einen Energieschub und er legte auf den letzten 10 km noch mal zu. Ich trank an der Zielverpflegung inzwischen (gefühlt) literweise Kaffee. Die Sonne kam durch und es wurde schon wieder richtig heiß. 

Dann – um 10:15 Uhr der große Moment! Bernd kam ins Stadion und drehte seine letzte Runde zusammen mit Maika. Geschafft! Finisher! 100 Meilen/ 161 km in 28:18 h gelaufen! Und das bei den schweren Wetterbedingungen! Großartig! 

Bernd machte gar keine große Feier, sondern schnappte seine Sachen und ging duschen. Dort ließ er sich richtig Zeit. 

Inzwischen war die vom Veranstalter organisierte Suppe aus der Gulaschkanone fertig. Sehr lecker! Ich holte uns Suppen und das Finisher-Bier und Kaffee und setzte mich auf die Bänke im Schatten. Nach und nach trudelten ein paar Bekannte und Freunde ein und irgendwann auch Bernd uns wir verbrachten zwei schöne erholsame Stunden dort. 

Gegen 13h brachen wir zur Siegerehrung im Ramada-Hotel auf. Die Zeit dort wurde noch einmal lang, aber wir finden, es gehört sich so, bis zum letzten geehrten Läufer abzuwarten. Um 17h waren wir dann endlich zu Hause. Um 20h im Bett – nach 40 Stunden ohne Schlaf! 

Bernd war hinterher von all den Strapazen nicht viel anzumerken. Klar, er ging ein bisschen steif und langsam – aber bis auf eine wundgeriebene Stelle nix. Wahnsinn! 

Pasta-Party, Briefing, Start- und Zielbereich, Verpflegung an der Strecke, Verpflegung im Ziel – alles war toll organisiert. Ganz vielen Dank an die Veranstalter und die Helfer! Das einzig unschöne war die verspätete Anzeige der Durchlaufzeiten im Internet. Vielleicht klappt das im nächsten Jahr besser.

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© berlin-runner Katrin